Zum Inhalt springen
Lungenstiftung Bremen

Sauerstoff als Lebensretter

Infektionen mit dem Corona-Virus überstehen viele Menschen mit leichten Symptomen. Aber vor allem Ältere und Vorbelastete können bedrohlich an Lungenentzündung und Lungenversagen erkranken – und daran sterben. Wie diese Patienten medizinisch behandelt werden, erklärt Prof. Dr. Dieter Ukena, Chefarzt am Klinikum Bremen-Ost.

Prof. Dr. Dieter Ukena
…ist seit 2004 Chefarzt und medizinischer Leiter des Bremer Zentrums für Lungenmedizin. Der in Emden geborene Mediziner ist ein ausgewiesener Spezialist der Lungenheilkunde. Unter anderem ist Ukena Autor und Mitherausgeber von mehr als 200 Publikationen und Buchbeiträgen aus den Themengebieten Pharmakologie, Pneumologie und Onkologie, Vorsitzender der Zertifizierungskommission »Lungenkrebszentren« der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) sowie Verfasser und Koordinator von medizinischen Leitlinien zu Lungenkrankheiten wie Asthma, COPD und Lungenkarzinom. Ukena hat 2018 die Lungenstiftung Bremen mit ins Leben gerufen, die von der AOK Bremen/Bremerhaven unterstützt und gefördert wird.

Was ist aus Ihrer Sicht als Lungenexperte das Gefährliche an der Corona- oder Covid-19-Erkrankung?

Ukena: Das ist bei Covid-19-Patienten die schwere Lungenentzündung, die zum akuten Lungenversagen führen kann – dann wird eine künstliche Beatmung notwendig. Außerdem können weitere Komplikationen wie eine Sepsis (Blutvergiftung) oder ein septischer Schock auftreten, die zum Tode führen. Bei einer Sepsis schädigt die körpereigene Abwehrreaktion die eigenen Gewebe und Organe.

Offenbar reagieren Patienten sehr unterschiedlich auf eine Corona-Virus-Infektion. 80 Prozent der Infizierten haben nur milde Symptome. Bei bis zu fünf Prozent gibt es sehr schwere, intensivmedizinisch zu behandelnde Krankheitsverläufe. Wie erklären Sie sich, dass dabei vor allem ältere Menschen besonders gefährdet sind?

Ukena: Tatsächlich steigt das Risiko einer schweren Erkrankung ab dem Alter von 50 bis 60 Jahren stetig an. Vor allem Menschen über 80 Jahre haben eine Sterblichkeit von über 15 Prozent. Unabhängig vom Alter erhöhen aber verschiedene Grunderkrankungen wie chronische Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes mellitus, Krebserkrankungen und Krankheiten mit abgeschwächtem Immunsystem das Risiko für einen schweren Verlauf. Das fassen wir unter »Multimorbidität« zusammen. Weil Covid-19-Patienten im höheren Lebensalter häufig an einer ausgeprägten Multimorbidität leiden, ist dann oft nicht klar, ob sie mit dem Sars-CoV-2-Virus oder durch das Sars-CoV-2-Virus gestorben sind.

Wie wird die Lungenfunktion genau beeinträchtigt?

Ukena: Der sehr schwere Verlauf einer Covid-19-Infektion ist mit einem sogenannten Zytokinsturm verbunden. Zytokine sind Proteine, die eine Entzündungsreaktion hervorrufen. Man nimmt an, dass ältere Menschen aufgrund der abnehmenden Leistungsfähigkeit im Alter nicht mehr so gut in der Lage sind, diese intensive Entzündungsreaktion zu beherrschen. Durch das zunehmende Lungenversagen wird die Sauerstoffaufnahme im Blut so kritisch verringert, dass andere Organe wie Herz oder Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden – sie versagen.

Bei einer Covid-19-Infektion tritt eine Lungenentzündung nach 6 bis 8 Tagen auf, und sie dauert etwa 10 bis 14 Tage.

Gibt es Unterschiede zwischen einer »gewöhnlichen«, etwa durch eine Grippe verursachten, Lungenentzündung und der Covid-19-Lungenentzündung?

Ukena: Der Endpunkt bei der Influenza und einer von Sars-CoV-2-Viren ausgelösten Lungenentzündung ist gleich: das Lungenversagen. Aber offenbar gibt es Unterschiede in der zeitlichen Entwicklung der Lungenentzündung und deren Dauer. Bei einer Covid-19-Infektion tritt eine Lungenentzündung nach 6 bis 8 Tagen auf und dauert dann etwa 10 bis 14 Tage. Interessant ist, dass Patienten im Fall von Covid-19 neben den bekannten Symptomen wie Fieber und trockenem Husten auch noch ein anderes frühes Symptom entwickeln: Sie können praktisch nicht mehr riechen und schmecken.

Die Zeit zwischen ersten Anzeichen und der rapiden Verschlechterung des Zustandes scheint bei Covid-19 sehr kurz zu sein. Oder ist das bei anderen Lungenerkrankungen auch so?

Ukena: Weltweit haben Mediziner ganz verschiedene Krankheitsfälle beschrieben, die sicher auch abhängig von den schweren Vorerkrankungen der Patienten waren: eine rasche, innerhalb von Stunden zum Tode führende Infektion, ebenso aber auch Lungenentzündungen, die erst nach einer einwöchigen Infektion auftraten. Ein Covid-19-spezifischer Verlauf, den man von anderen Infektionen der Lunge unterscheiden könnte, existiert aber nicht.

Wie sieht Ihre Behandlung aus? Was versuchen Sie als Mediziner zuerst?

Ukena: Jede Behandlung richtet sich nach der Schwere der Erkrankung. Im Vordergrund stehen zunächst Maßnahmen zur Infektionsbehandlung wie körperliche Ruhe, eine moderate Fiebersenkung und eine zurückhaltende Flüssigkeitszufuhr, da ansonsten die Sauerstoffaufnahme in der Lunge beeinträchtigt werden kann. Außerdem werden die Vitalfunktionen überwacht. Also: Ist der Patient bei klarem Bewusstsein, wie ist seine Körpertemperatur, wie ist die Atemfrequenz? Außerdem behandeln wir natürlich die Grundkrankheiten wie Diabetes oder COPD. Wenn wir merken, der Patient wird kurzatmig, messen wir die Sauerstoffsättigung des Blutes mit einem Pulsoximeter. Die Sauerstoffsättigung sollte größer oder gleich 90 Prozent sein.

Vorsorglich Antibiotika zu geben, wird nicht empfohlen und ist auch nicht sinnvoll.

Wie wichtig sind Antibiotika – und ist die Sauerstoffgabe wichtiger?

Ukena: Antibiotika werden eingesetzt, wenn es Anzeichen für eine gleichzeitig bestehende bakterielle Infektion gibt – zum Beispiel bei erhöhten Entzündungswerten im Blut. Vorsorglich Antibiotika zu geben, wird nicht empfohlen und ist auch nicht sinnvoll. Medikamente für eine gezielte antivirale Therapie gibt es bisher nicht. Deshalb ist die Sauerstoffzufuhr mit einer Nasensonde oder einer Mund-Nasenmaske die wichtigste therapeutische Maßnahme bei der Behandlung einer Virus-Lungenentzündung. Das verfolgen wir mit dem Ziel, im arteriellen Blut eine Sauerstoffsättigung von mindestens 90 Prozent zu erreichen.

Wann greift man zur Beatmung – und warum sieht man so viele Patienten in der Berichterstattung in Bauchlage?

Ukena: Wenn der Sauerstoffgehalt im arteriellen Blut kritisch abfällt oder wenn wir merken, dass der Patient aufgrund der erhöhten Atemfrequenz erschöpft ist, müssen wir ihm einen Beatmungsschlauch einführen und die mechanische Beatmung auf einer Intensivstation beginnen. Die maschinelle Beatmung führt durch einige Besonderheiten des Atmungssystems dazu, dass bei einem auf dem Rücken liegenden Patienten Abschnitte in dem hinteren, zwerchfellnahen Bereich der Lunge kollabieren. Sie werden geringer belüftet, sind aber weiterhin gut durchblutet, was wiederum die Sauerstoffaufnahme verschlechtert. Durch die Bauchlagerung der Patienten wird der Anteil der schlecht belüfteten Lungenareale deutlich verkleinert und das Zusammenspiel von Belüftung und Durchblutung verbessert. Außerdem bessert sich die Funktion der Atemmuskulatur. Deshalb müssen solche Patienten über mindestens 16 Stunden pro Tag auf dem Bauch gelagert werden.

Ab welchen Zeitpunkt wird die Beatmung wieder ausgeschlichen oder abgestellt?

Ukena: Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass bei einer Covid-19-Lungenentzündung mit akutem Lungenversagen relativ lange Beatmungszeiten von 12 bis 14 Tagen notwendig sind. Dann beginnt der Prozess der Entwöhnung vom Beatmungsgerät. Einfach abgeschaltet werden die Beatmungsgeräte natürlich nicht.

Es heißt, dass Männer besonders gefährdet seien. Sind die Atemorgane der Männer »anders« oder reagieren sie einfach anders auf das Virus?

Ukena: Tatsächlich sind Männer und Frauen etwa gleich häufig mit Covid-19 infiziert, aber zwei Drittel der Verstorbenen sind männlichen Geschlechts. Mögliche Erklärungen für diese Unterschiede sind, dass hier Lebensgewohnheiten wie Rauchen oder Alkoholkonsum einen Einfluss haben. Wir wissen aber auch, dass Geschlechtshormone unterschiedliche Effekte haben: Das weibliche Hormon Östrogen zum Beispiel stimuliert das Immunsystem, das männliche Testosteron bewirkt das Gegenteil. Hinzu kommt: Die Immunabwehr durch Proteine wird auf X-Chromosomen »kodiert« – und davon besitzt die Frau zwei, der Mann jedoch nur eins. Deshalb gibt es bei Frauen eine stärkere Immunregulation, was zum Beispiel bei der Abwehr einer Virus-Infektion hilfreich ist.

Die künstliche Beatmung auf der Intensivstation dauert häufig bis zu zwei Wochen.

Gibt es schon Erfahrungen, wie schnell oder langsam sich Patienten nach einer schweren Covid-19-Erkrankung erholen? Ist das ähnlich wie bei einer echten Grippe?

Ukena: Die tägliche Erfahrung mit Covid-19-Patienten zeigt: Die Überwindung der Krankheit dauert häufig ein bis zwei Wochen und damit in der Regel deutlich länger als bei einer klassischen Grippe. Die künstliche Beatmung auf der Intensivstation dauert häufig bis zu zwei Wochen. Die stationären Behandlungszeiten bei Covid-19 sind in den meisten Fällen länger als bei einer Grippe.

Gibt es Erkenntnisse, welche Folgeschäden eine durch Covid-19 ausgelöste Lungenentzündung verursacht, selbst wenn man die Krankheit überstanden hat?

Ukena: Diese Frage können wir derzeit wissenschaftlich fundiert nicht beantworten. Aber ich vermute, dass die Folgeschäden in etwa mit denjenigen vergleichbar sind, die nach Langzeitbeatmungen von anderen schweren Lungenschädigungen auftreten können. Dort kommt es zu Veränderungen des Lungengewebes, die sich nicht zurückbilden und die die Leistungsfähigkeit der Lunge kritisch verringern. Auch die Leistungsfähigkeit anderer Organe wie Gehirn oder Herz kann dadurch langfristig eingeschränkt werden.

Die Corona-Pandemie verursacht eine ungewöhnlich hohe Zahl von Beatmungspatienten. Sehen Sie die Gefahr, dass etliche dieser Patienten auch nach dem Klinikaufenthalt dauerhaft beatmet werden müssen?

Ukena: Das Spektrum potenzieller Langzeitschäden der Lunge ist vielfältig. Je nachdem, ob die Covid-19-Patienten schon zuvor an einer Lungenkrankheit wie etwa COPD gelitten haben, können unterstützende Maßnahmen wie eine Langzeit-Sauerstofftherapie oder die nicht-invasive Beatmung für diese Menschen notwendig werden. Aber welche Größenordnung die Langzeitschäden nach den Coronavirus-Lungenentzündungen erreichen, kann man aktuell nicht abschätzen. Trotzdem: Wir haben eine gute medizinische Versorgung in Deutschland – die betroffenen Patienten werden sicher uneingeschränkt versorgt.


Dieses Interview wurde zuerst in dem Regionalmagazin der AOK Bremen/Bremerhaven „AOK bleib gesund SPEZIAL 1-2020“ veröffentlicht. Das Interview führte Jörn Hons, Fotos von Carsten Heidmann, Illustrationen von Arne Olsen.